Die Dunkelkammer – Der Investigativ-Podcast

#30 Der Skandal um Covid-Schutzmasken & ein Enthüllungsbuch: Der Südtiroler Journalist Christoph Franceschini im Gespräch

Episode Summary

"Das Geschäft mit der Angst – ein Südtiroler Wirtschaftskrimi": Das ist der Titel eines Buches, das eben in Südtirol vorgestellt wurde. Untertitel: "Die Fakten und Hintergründe zum Maskenskandal“. Die Autoren Christoph Franceschini und Artur Oberhofer beschreiben darin die politischen Verwicklungen rund um ein Millionengeschäft mit Covid-Schutzausrüstung, die auch nach Österreich hineinreichen. Ich habe Christoph Franceschini dazu gemeinsam mit Fabian Schmid (DER STANDARD) interviewt.

Episode Notes

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Über Folge #30

Der Klappentext des Buches verspricht nicht zu viel: 

Angst ist gut für das Geschäft. Wo Hilfsgelder in Strömen fließen, entsteht Goldgräberstimmung. Auch in Südtirol. Spätestens im Jänner 2023 wird der Südtiroler Masken-Skandal zum internationalen Wirtschaftskrimi. Inzwischen befassen sich sieben Staatsanwaltschaften in drei europäischen Ländern mit diesem Fall. Dieses Buch ist die faszinierende und unglaubliche Geschichte einer einjährigen journalistischen Recherche und Spurensuche, die aufdeckt, was bislang verborgen war: Wie „unverdächtige“ Politiker, Manager und öffentliche Verwalter, die sich niemandem mehr verantwortlich glaubten, die Corona-Panik in Profit verwandeln wollten. Die Protagonisten dieses handfesten und rasanten Wirtschaftskrimis haben nicht nur öffentliche Gelder verprasst, sie haben wissentlich die Gesundheit vieler Menschen aufs Spiel gesetzt.

Zum Buch: Das Geschäft mit der Angst  - ein Südtiroler Wirtschaftskrimi / edition AROB   / ISBN 978-88-88396-32-3

Die Affäre um die Covid-Schutzmasken hatte 2020 auch in Österreich für Schlagzeilen gesorgt: Die Republik Österreich hatte damaks über das Rote Kreuz für Millionen Euro Covid-Schutzausrüstung beim Südtiroler Sportartikelkonzern Oberalp bestellen lassen, der die Ware  in China herstellen ließ, ehe sie mit einer AUA-Luftbrücke nach Österreich gebracht und weiterverteilt wurde. Es stellte sich allerdings schnell heraus, dass einige Chargen der Schutzmasken teils gravierende Mängel aufwiesen, dazu gab es auch zwei Gutachten. 

Doch die Gutachten blieben unter Verschluss. Die Öffentlichkeit erfuhr davon erst durch eine Enthüllung von Christoph Franceschini im Südtiroler Online-Medium Salto.

Gemeinsam mit meinem STANDARD-Kollegen Fabian Schmid habe ich Christoph Franceschini zur Entstehung des Buches und zu den politische Verwicklungen rund um das Millionengeschäft befragt. Für alle in dem Interview genannten Personen gilt selbstverständlich die Unschuldsvermutung. 

Seitens der Südtiroler Oberalp-Gruppe heißt es auf auf Anfrage: 

Wir selbst hatten noch nicht die Möglichkeit, Einsicht in das Buch zu nehmen, und sehen deshalb zu diesem Zeitpunkt von einer Stellungnahme ab.

Seitens des Roten Kreuzes heißt es: 

Zu Beginn der Corona-Pandemie waren Schutzmaterialien Mangelware, alle haben sich nach Kräften bemüht, den Mitarbeiter:innen im Gesundheitswesen Schutzausrüstung zur Verfügung zu stellen. Die Beschaffungsmaßnahmen wurden dabei im Auftrag der Republik Österreich umfangreich geprüft und der ÖRK E&S dabei ein gutes Zeugnis ausgestellt. Ein Lieferant ist in Italien und Österreich Gegenstand von Ermittlungen. Wir leisten unseren Beitrag zu den Ermittlungen im Rahmen des rechtsstaatlichen Verfahrens.

Die WKStA schreibt auf Anfrage: 

Zu Ihrer heutigen Anfrage darf ich mitteilen, dass das Ermittlungsverfahren noch andauert. Zum (unveränderten) Gegenstand darf ich auf unsere Pressemitteilung aus Jänner 2022 verweisen. 

Das Verfahren wird gegen 4 namentlich bekannte Beschuldigte, 3 Verbände sowie einen unbekannten Täter wegen des Vorwurfs des schweren Betruges (§§ 146, 147 Abs 3 StGB) sowie der Untreue (§§ 153 Abs 1 und Abs 3 StGB) zum Nachteil der Republik Österreich im Zusammenhang mit der Beschaffung von Schutzmasken (FFP2) bzw Schutzausrüstungen für den medizinischen Bereich zur Bewältigung der Covid-19-Pandemie geführt. Nach derzeitigem Ermittlungsstand beläuft sich der Schaden auf rund 40 Millionen Euro.

 

 

Episode Transcription

00:00:09:20 - 00:03.12:11

 

Michael Nikbakhsh (Intro und Begrüßung von Fabian Schmid und Christoph Franceschini)

 

Bei mir in der Dunkelkammer begrüße ich jetzt meine beiden Kollegen. Auf der einen Seite Fabian Schmid vom STANDARD, hallo Fabian!

 

00:03:12:12 – 00:03:13:12

Fabian Schmid
Hallo! 

 

00:03:13:13- 00:03:22:01

Und auf der anderen Seite Christoph Franceschini, einen Südtiroler Investigativjournalisten, der eben ein Buch veröffentlicht mit dem Titel „Das Geschäft mit der Angst“. Da geht es um die Beschaffung von Covid Schutzausrüstung, unter anderem Schutzmasken, die auch nach Österreich geliefert wurden. Das Buch hat er gemeinsam mit seinem Kollegen Artur Oberhofer geschrieben. Hallo Christoph.

 

00:03:32:13 - 00:03:34:01

Christoph Franceschini

Hallo Michael.

 

00:03:34:03 - 00:03:37:13

Michael Nikbakhsh

Christoph, ich schlage vor, erzähl doch mal, wie es zu dem Buch kam.

 

00:03:37:15 - 00:04:53:11

Christoph Franceschini

Also das Buch ist so entstanden eigentlich Anfang April 2020, mitten in der großen Coronawelle mitten im Lockdown, wurde mir von einem langjährigen Informanten ein Gutachten des Wiener Amtes für Rüstung und Wehrtechnik zugespielt. In diesem Gutachten, drei Seiten, wurden Masken aus Südtirol getestet und die Tester kamen zum Schluss, dass man sie nicht einsetzen kann, weil sie einfach so große Qualitätsmängel und Lücken haben. Diese Masken waren aber bereits zu diesem Zeitpunkt in Südtirol in den Krankenhäusern seit über einer Woche im Einsatz. Und dieses Gutachten ist von der Verantwortlichen sozusagen vertuscht worden. Und ich habe dann angefangen zu recherchieren und habe dann eine Geschichte geschrieben, die dann großen Wirbel gemacht hat, nicht nur in Südtirol, sondern auch in Österreich und darüber hinaus. Und so ist eigentlich dieser Masken-Skandal in der Öffentlichkeit losgetreten worden. Und das war die Initialzündung. Und da ist dann eine staatsanwaltschaftliche Ermittlung gestartet und wir haben jetzt sozusagen Artur Oberhofer und ich zusammen diese Ermittlungsakten auch aufgearbeitet und die ganze Geschichte in einem Buch veröffentlicht.

 

00:04:53:12-00:05:04:21

Fabian Schmid

Die ganze Geschichte beginnt ja eigentlich im März 2020, sogar am Beginn der Pandemie mit einer Luftbrücke aus China. Kannst du da mal erzählen, was wurde da geliefert? Worum ging es da? 

 

00:05:04:22 - 00:07:05:02

Christoph Franceschini

Ja, es ist so im Zentrum steht ein großer Südtiroler Konzern, die Oberalp, das ist ein Wiederverkäufer und Hersteller von Sportartikeln, Sporttextilien, die haben mehrere Marken wie Salewa, Dynafit et cetera, haben Partner in China. Das heißt, die machen dort auf Konzession und auf Verkaufen und stellen auch her.

Und die hatten dann einfach die Idee, Atemschutzmasken und Schutzanzüge aus China zu importieren und haben sie dem Südtiroler Sanitätsbetrieb angeboten. Dort war ein ganz riesiger Mangel und da ist dann eine erste Lieferung Ende März zustande gekommen. Im Wert von 9,3 Millionen Euro. Das Problem war, wie bekomme ich diese Masken von China nach Europa? Damals natürlich Lockdown, Flüge eingestellt. Ursprünglich wollte man das mit dem italienischen Zivilschutz aus Rom machen, doch die hatten nicht so viele Maschinen und auch dort war alles blockiert. 

Dann ist die Idee gekommen, Südtirol, das zehnte Bundesland, das Vaterland Österreich. Man hat dann sozusagen Österreich angerufen. Das ging über die Schiene des Landeshauptmannes direkt zu Sebastian Kurz, damals Kanzler. Sebastian Kurz hat sofort auf die Verteidigungsministerin Claudia Tanner verwiesen. Arno Kompatscher, Landeshauptmann von Südtirol und Claudia Tanner haben zusammen telefoniert. Das ist dann über den Generalsekretär im Verteidigungsministerium, Dieter Kandlhofer, gegangen. Und dort hat man dann eine Luftbrücke aufgebaut. China - Wien mit AUA-Passagiermaschinen, wo man auch dann die Sitze ausgebaut hat, damit man mehr laden kann. So ist das dann gelaufen, dass am 25. März die ersten zwei Maschinen in Wien gelandet sind und die erste Ladung gebracht haben. 

 

00:07:05:03 - 00:07:14:12

Fabian Schmid

Aber Österreich hat es quasi nicht nur für die Italiener gemacht, sondern wollte dann natürlich auch etwas davon haben. 

 

00:07:14:13-00:07:59:17

Christoph Franceschini

Es war so, dass es natürlich am Anfang sozusagen eine gute staatliche Hilfe zwischen Volksparteien war. Aber dann hat auch durch Oberalp, also der CEO von Oberalp Christoph Engl hat gemerkt, er ist da im Vorzimmer der Macht in Österreich und hat gemerkt, wir können ein Geschäft machen und es hat sich dann das Österreichische Rote Kreuz dafür interessiert und man hat dann einen Vertrag mit dem Österreichischen Roten Kreuz abgeschlossen, mit einer Tochtergesellschaft also der ÖRK Einkauf & Service GmbH, der über 35 Millionen Euro ging. Und das heißt, man hat dann auch Österreich beliefert. Das heißt, es war auch ein gewisser Eigennutz da - und auch dort ist es so schiefgegangen, wie’s in Südtirol schiefgegangen ist.

 

00:07:59:19 - 00:08:11:05

Michael Nikbakhsh

Dazu muss man vielleicht festhalten, dass das Rote Kreuz in Österreich einen Vertrag mit der Republik hatte zur Beschaffung von Schutzausrüstung und das dieser Vorgang im Rahmen dieses Vertrags abgewickelt wurde.

 

00:08:11:07 - 00:09:44:23

Christoph Franceschini

Das eigentliche Problem war natürlich so, dass Christoph Engl und Oberalp dann sozusagen im Vorzimmer der Macht waren und mit Österreich ins Geschäft gekommen sind. Das Österreichische Rote Kreuz hatte einen 35 Millionen Euro Vertrag mit Oberalp abgeschlossen hat, für Masken und Schutzkleidung, und dann gab es zwei Gutachten. Eines der Dekra in Essen und eines des Amts für Rüstung und Wehrtechnik in Wien. Das eine ist vom Wirtschaftsministerium, das andere vom Verteidigungsministerium herausgegeben worden.

Das erste Gutachten in Essen - bevor man den Vertrag abgeschlossen hat - ist zum Schluss gekommen, dass man die Masken nicht testen kann, weil die Lücken an den Wangen einfach zu groß sind. Um den ganzen Deal zu retten, hat Christoph Engl, das ist der CEO von Oberalp, zusammen mit Dieter Kandlhofer ausgehandelt, dass man die Masken noch einmal im Amt für Rüstung und Wehrtechnik testen soll. Und das hat man gemacht. Am 29. März 2020, und das ist dann noch schlechter ausgegangen. Und dann hat man zwischen Engl und Kandlhofer vereinbart, dass das Gutachten in Österreich unter Verschluss bleibt und auch in Südtirol. Man hat alles getan, damit die Öffentlichkeit nicht mitbekommt, und vor allem die Sanitätsbediensteten nicht mitbekommen, dass mit diesen Masken etwas nicht stimmt. Das war der Grund für mich, warum ich die Geschichte schreiben musste und veröffentlichen musste.

 

00:09:45:00 - 00:10:05:11

Fabian Schmid

Also festgehalten: Man hat gewusst, dass diese Masken nicht für den Einsatz in der Pandemie geeignet sind, aber trotzdem hat man sie dann quasi weitergeschickt und man hat auch den Vertrag mitOberalp unterzeichnet, das war ja dann auch erst später. Also all das hat man gemacht, obwohl diese Gutachten schon vorgelegen sind…

 

00:10:05:12 - 00:11:40:14

Christoph Franceschini

Also in Südtirol war es so, dass das Gutachten am 29. März übermittelt worden ist. Christoph Engl hat das Gutachten an den Generaldirektor des Südtiroler Sanitätsbetriebes, Florian Zerzer, geschickt. Das Problem war, es ist an seine Dienstadresse gegangen, damals im Lockdown, an einem Sonntag an eine seiner Sekretärinnen. 

Die Sekretärin hat sofort gemerkt - hier stimmt etwas nicht und hat dieses Mail an einen Verwaltungsdirektor weitergeschickt, der gesagt hat: Schicke es an die ganzen Direktoren der Krankenhäuser. Das war das große Problem. Damit ist es zu einem größeren Verteilerkreis gekommen, was dann der Generaldirektor sofort versucht hat, zu korrigieren. Er hat alle angerufen und gesagt, sie müssen diese Email löschen. Das war eben die Vertuschungsaktion in Südtirol. 

In Österreich hat das Verteidigungsministerium das Österreichische Rote Kreuz nicht informiert über dieses Gutachten des Amts für Rüstung und Wehrtechnik. Das heißt, sie haben im guten Glauben gekauft. Als ich dann dieses Gutachten veröffentlicht habe, das war ungefähr eine Woche später, haben die natürlich blöd aus der Wäsche geschaut. Es ist zu einem natürlich intensiven Telefonverkehr und Mailverkehr zwischen Bozen und Wien gekommen. Man hat irgendwie versucht, das zu korrigieren. Ich glaube damals die Entscheidung zu kaufen ist auf höchster politischer Ebene gefasst worden. Im Buch gibt es auch abgehörte Gespräche und Mails, wo gesagt wird: das Bundeskanzleramt hat angeordnet.

 

00:11:40:16 - 00:11:44:15

Michael Nikbakhsh

Mit welchen Unterlagen hast du für dieses Buch gearbeitet?

 

00:11:44:17 - 00:12:40:05

Christoph Franceschini

Also der Start war natürlich dieses Gutachten des Whistleblowers. Ich habe diesen Skandal damals auf unserem Onlineportal Salto aufgedeckt und danach hat es eine Ermittlung der Bozner Staatsanwaltschaft gegeben von einer Sondereinheit, eine Art Gesundheitspolizei könnte man sagen. Und es hat dann auch in Österreich Rechtshilfeansuchen gegeben, Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, der Finanzprokuratur. Aber auch in Deutschland ermittelt inzwischen fünf Staatsanwaltschaften Rechtshilfeansuchen und die gesamten Gerichtsakten liegen vor. Wir haben daraus geschöpft und auch natürlich auch Eigenrecherchen. Das heißt, es ist ein Buch, das auf Dokumenten beruht, das auf Gerichtsakten beruht, das auf Abhörungen beruht, das auf sichergestellten E-Mail Verkehr und Dokumenten beruht. 

 

00:12:40:06 - 00:12:57:10

Fabian Schmid

Was ich sehr interessant fand in deinem Buch, oder in eurem Buch, ist, dass du schreibst „Das Rote Kreuz und Oberalp scheinen immer mehr zu einer Art von Schicksalsgemeinschaft zu werden im Laufe der Monate“. Kannst du da ein bisschen erklären, was damit gemeint ist?

 

00:12:57:11 - 00:15:33:22

Christoph Franceschini

Also es ist so, dass natürlich - es ist ja noch weiter gegangen - das heißt, Oberalp hat mit diesem Vertrag insgesamt über 41 Millionen Euro von der Republik Österreich kassiert, hat auch geliefert. Aber das Österreichische Rote Kreuz beziehungsweise die Tochtergesellschaft, die eingekauft hat, hat immer wieder auch Gutachten machen lassen unter anderen beim Prüfdienst BEV. Beim physikalischen Prüfdienst des Bundeseichamtes wurden zum Beispiel mehrere Tests gemacht, die alle negativ ausgefallen sind, und das hat das Österreichische Rote Kreuz auch beanstandet. Oberalp hat dann im Laufe der Monate versucht, bessere Qualität zu liefern, denn das Grundproblem von Anfang an war jenes: Oberalp hatte in China 14 verschiedene Zulieferer. Das waren Zulieferer, die ursprünglich zum Beispiel Sportschuhe gemacht haben oder Einlagen für Sportschuhe, die dann in der Corona-Zeit umgestellt haben auf Masken und Schutzkleidung. Also dort hat einfach auch die technische Expertise gefehlt, und die Qualitätsunterschiede waren enorm. 

Das Österreichische Rote Kreuz hat irgendwann mal eine Charge, eine Produktionslinie getestet, die für sie gut gegangen ist. Oberalp hat dann versucht, diese Qualität zu halten, was nicht gelungen ist, und es gab mehrere Nachlieferungen, mehrere Lieferungen, die das Rote Kreuz abgelehnt hat. Aber diese Tochtergesellschaft oder die Führung ist dem privaten Unternehmen äußerst entgegengekommen. Vor allem dann, als die Republik, das Gesundheitsministerium, das Wirtschaftsministerium, angefangen hat, zu mauern und gesagt hat: Ihr müsst aus dem Vertrag aussteigen, denn das geht nicht. Da hat es die Führung des Österreichischen Roten Kreuzes, und da geht es bis ganz hoch, geschafft, den Deal aufrechtzuerhalten. 

Es gibt in diesem Buch auch abgehörte Telefongespräche. Als die Finanzprokuratur begonnen hat, zu ermitteln, hat das Wirtschaftsministerium den Verantwortlichen untersagt, Kontakte mit der Firma zu haben. Dann gibt es Telefongespräche, wo man sich vereinbart über privaten E-Mail Verkehr und über Telefonleitungen, die nicht nach verfolgbar sind. Und das heißt, da gibt es eine ganz klare Komplizenschaft, wo es nicht mehr um die Interessen der Republik oder des Roten Kreuzes gegangen ist, sondern ausschließlich um Privatinteressen ökonomischer Natur.

 

00:15:33:24 - 00:15:42:17

Michael Nikbakhsh

Ein Thema bei dem Vorgang war das Fehlen von in Europa akzeptierten Prüfzeichen auf den Masken. Habe ich das richtig gelesen?

 

00:15:42:19 - 00:16:47:06

Christoph Franceschini

Also es ist fast schon, wie sagt man, ein schlechter Witz. Also es war natürlich klar, in allen Verträgen steht, dass die Schutzanzüge und die meisten CE-zertifiziert sein müssen. Und das ist auch auf allen Kartons gestanden und ist auch in allen Papieren gestanden. Bis man draufgekommen ist, dass das CE-Zeichen eine Fälschung und nicht eine CE-Zertifizierung ist, sondern „China Export“ heißt. 

Also das ist wirklich ein schlechter Witz. Aber es ist so, sie waren nicht CE-zertfiziert, das war einer der Gründe, warum sie in Italien nicht zugelassen worden sind. In Österreich ist es ganz interessant. Dieser 34 oder 35 Millionen Vertrag mit Oberalp wurde dreimal abgeändert. Am Anfang stand CE-zertifiziert, dann stand CE-Certificate pending und am Ende war von der CE-Zertifizierung sowieso nichts mehr zu lesen, sondern es stand ein anderer Standard drinnen.

 

00:16:47:07 - 00:17:07:04

Fabian Schmid

Es gibt ja auch eine fast klamaukhafte Szene, wenn das Thema nicht so ernst wäre, wo gefordert wird zwischen Oberalp und seinem chinesischen Zulieferern, dass Etiketten verändert werden sollen auf den Kartons, worin die Masken geliefert werden. Was ist da passiert? 

 

00:17:07:05 – 00:18:19:18

Christoph Franceschini

Also es ist so, dass die chinesischen Zulieferer klar von Anfang an gesagt haben, wir können das liefern, wir können das produzieren, aber ihr müsst euch kümmern darum um die Standards, um die Zulassung in euren Ländern und wir können keine Medizinprodukte exportieren. Deshalb stand auf den Masken: For Civil Use not Medical Workers. Also das heißt, es stand dort, die sind nicht zugelassen für medizinisches Fachpersonal. Das war das Problem, denn irgendwann hat das Rote Kreuz gesagt: wir können das nicht kaufen, wenn es nicht für die Sanitätsbediensteten zugelassen ist. Dafür wollte man es ja einsetzen. Dann hat einfach Oberalp bei den chinesischen Zulieferern verlangt, dass die Verpackungen geändert werden und dieser Hinweis auf „Civil Use“ getilgt wird. Das hat man gemacht. Irrsinnig, also es waren ja chinesische Schriftzeichen drauf, irgendwann hat man dann gemerkt, ein paar Tage später, dass im Chinesischen das noch steht und dann hat man auch das getilgt. Also es ist klamaukhaft. Aber es ist um viele Millionen Euro an Steuergeldern gegangen.

 

00:18:19:20 - 00:18:43:21

Michael Nikbakhsh

Was man jetzt irgendwie vollkommen vermisst bei Lektüre des Buches, insbesondere bei den Seiten, die Österreich betreffen - das sind doch einige: Gab es dann auf Seiten der Österreichischen Bundesregierung oder im Bereich der österreichischen Entscheidungsträger überhaupt niemanden, der das jetzt nicht nur bemerkt hat, sondern auch verhindern wollte, dass ja möglicherweise schadhafte Masken, insbesondere in Verkehr geraten?

 

00:18:43:23 - 00:20:32:05

Christoph Franceschini

Ich glaube nein, weil im Buch kommt relativ gut heraus, dass eigentlich, wie gesagt, das Wirtschaftsministerium hat irgendwann mal angeordnet: Steigt aus dem Vertrag aus, löst ihn auf. Dann hat es eine große Runde im Wirtschaftsministerium gegeben, bei der auch Oberalp anwesend war, und man hat dort mehr gefürchtet, dass diese Sache an die Öffentlichkeit schwappt. Also der Geschäftsführer dieser Tochtergesellschaft, Andreas Fuhrmann, sagt immer wieder sie haben Angst, dass da ein Skandal rauskommt. 

Die Politik, hat am meisten Angst davor, dass diese Sachen ans Tageslicht, an die Öffentlichkeit, kommen. Deshalb wollten die das einfach, glaube ich, einvernehmlich und vor allem leise beilegen. Also man hat Angst gehabt, dass das an die Öffentlichkeit kommt und das war natürlich sehr gut für die Firma und das war natürlich auch der Hauptgrund, sozusagen diese Geschichte sozusagen in der Dunkelkammer zu lassen. Es hat sich dann eben, zum Glück, irgendwann die Finanzprokuratur eingeschaltet und auch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Auch wegen eines Zurufs aus Innsbruck, dort haben im Herbst 2020 die Innsbrucker Sozialbetriebe noch einmal diese Masken testen lassen und da ist rausgekommen, dass sie absolut nicht einsetzbar sind. Die Tiroler Landesrätin hat dann im Gesundheitsministerium protestiert, und das war dann der offizielle Beginn der Ermittlungen, die, glaube ich, heute noch anlaufen oder noch immer laufen in Österreich.

 

00:20:32:07 - 00:20:52:11

Fabian Schmid

Aber man muss sagen, dass da Billionen von Masken schon im Umlauf waren. In Tirol, in Alters- und Pflegeheimen, man hat dann in ganz Österreich quasi gesucht nach diesen Masken. Also inwiefern siehst du da ein politisches Versagen auch in all dem? 

 

00:20:52:12 - 00:22:40:24

Christoph Franceschini

Ich glaube, das politische Versagen ist absolut da, denn es hat wirklich Anzeichen von Anfang an gegeben. Ich glaube, wenn ein militärisches Forschungsinstitut ein Gutachten mit drei Seiten macht das ganz klar, selbst für den Laien ersichtlich, sagt: Diese Masken dürfen nicht eingesetzt werden. Man es dann in der Schublade verschwinden lässt, dann glaube ich an der höchsten Stelle des Verteidigungsministeriums, Generalsekretär, wo von Anfang an eine große Runde immer eingeweiht war in dieser Geschichte. Dann, glaube ich, ist da sicher ein politischer Wille da, dass hinunter zu kochen und zu vertuschen. 

Man muss natürlich auch sagen, wir waren damals in einer wirklichen Krisensituation, und niemand wusste, wie es weitergeht. Aber man hat ganz sicher fahrlässig gehandelt. Hier war die politische Schiene, Südtiroler Volkspartei, Österreichische Volkspartei, Südtirol, Vaterland Österreich einfach wichtiger, denn man hat ja in Südtirol eine riesige politische Show abgezogen, nicht? Also Kanzler Kurz, der sozusagen den geknechteten Brüdern im Süden hilft. Und das war natürlich ein wunderbares politisches Narrativ für gewisse politische Kreise. 

 

00:22:18:12 - 00:22:40:24

Fabian Schmid

Jetzt hast du schon von intensiven Ermittlungen gesprochen. Aber deines Wissens nach, von der Politik, von der damaligen Bundesregierung – gegen diese Mitarbeiter, Minister, Spitzenbeamte wird nicht ermittelt, deines Wissens nach, oder?

 

00:22:40:24 - 00:23:26:00

Christoph Franceschini

Nein, meines Wissens nicht. Es wurden verschiedene Spitzenbeamte, wie zum Beispiel der ehemalige Generalsekretär des Verteidigungsministeriums, Dieter Kandlhofer, polizeilich verhört. Auch im Rechtshilfeansuchen im Beisein italienischer Ermittler. Es wurden alle Beteiligten angehört als Zeugen. Ermittelt wird meines Wissens gegen die Spitze der Tochtergesellschaft des Österreichischen Roten Kreuzes. Also ich glaube, auf der operativen Ebene gibt es Ermittlungen, aber natürlich nicht auf der politischen beziehungsweise auf der Ebene der politisch Verantwortlichen.

 

00:23:26:00 - 00:23:31:06

Michael Nikbakhsh

In Südtirol gab es dazu einen Untersuchungsausschuss. Was ist dabei herausgekommen?

 

00:23:31:08 - 00:25:25:18

Christoph Franceschini

Also es ist ein großes Kapitel in diesem Buch. Es gab einen Untersuchungsausschuss des Landtages, der alle Beteiligten angehört hat. Im Buch wird lückenlos anhand der Abhörung vor allem nachgewiesen, wie die politisch Verantwortlichen und auch die Führung des Sanitätsbetriebes alle dort erscheinenden Zeugen direkt beeinflusst haben, ihre Aussagen sozusagen gecoacht, mehr als nur gecoacht, haben. Und der damals zuständige Sanitätslandesrat sozusagen in einem Streitverfahren die Liste der Zeugen zusammengestrichen hat. Sie wurden einfach instruiert, was sie zu sagen haben und was sie nicht zu sagen haben. 

Es ist sogar noch weitergegangen, auch die Spitze der Oberalp wurde angehört. Das ist Heiner Oberrauch, der Firmengründer, und Christoph Engl, der Geschäftsführer. Die hat man am Tag vor der Anhörung in der Generaldirektion des Sanitätsbetriebes gecoacht. Man hat da eine Generalprobe mit ihnen gemacht, was sie zu sagen haben. Das Problem war, dass die Ermittler den Sitzungssaal verwanzt hatten und diese ganze Geschichte mitbekommen haben. Und das weiß bis heute niemand. Das wissen vor allem nicht jene Oppositionsparteien, jene Politiker, die im Untersuchungsausschuss saßen.

Herausgekommen ist nichts in diesem Untersuchungsausschuss, weil bei dem Untersuchungsausschuss des Südtiroler Landtags das gewichtete Stimmrecht gilt. Das heißt, jeder ist ein Vertreter jeder Fraktion in diesem Ausschuss. Aber er hat sich die Stimmenstärke seiner Fraktion und das heißt, dass die Südtiroler Volkspartei die absolute Mehrheit hat. Und die Südtiroler Volkspartei hat diesen Ausschuss sozusagen dazu genutzt, um eine Reinwaschung der gesamten Aktion zu machen. Es gibt auch Minderheitenberichte der politischen Minderheit und Opposition, wo dann wirklich die Sachen drinstehen, die passiert sind. Aber offiziell ist der Untersuchungsausschuss mit einem kleinem, sagen wir mal, Rüffel geendet. 

 

00:25:40:23 - 00:25:45:08

Fabian Schmid

Würdest du auch der österreichischen Politik einen Untersuchungsausschuss dazu empfehlen?

 

00:25:45:09 - 00:26:47:11

Christoph Franceschini

Na, das wäre natürlich sehr interessant, denn ich glaube wirklich, wenn an der Spitze des Verteidigungsministeriums solche Sachen passieren. Es ging um ein Millionengeschäft. Die Firma Oberalp hat innerhalb weniger Wochen 92 Millionen US-Dollar nach China überwiesen. Aber es ging um die Gesundheit der Menschen. 

In keinem der abgehörten Telefongespräche, in keinem der sichergestellten Mails-Dokumente wird jemals auf die Sicherheit der Sanitätsbediensteten, der Menschen, die diese Anzüge und Schutzwesten tragen mussten, hingewiesen. Und das ist das wirklich Schockierendeste für mich, dass man wirklich mit dem Leben der Menschen gespielt hat, nur an die Dollars gedacht hat, die man verdienen kann. Und ich glaube, das ist eine wirklich zynisch menschenverachtende Politik, die man ganz gleich in welchem Land, untersuchen sollte.

 

 

00:26:47:12 - 00:27:00:06

Fabian Schmid

Gilt das deiner Meinung nach auch für das Rote Kreuz? Das hat ja immerhin auch eine Aufwandsentschädigung oder Provisionen bekommen für die Einkaufserledigungen. 

 

00:27:00:06-00:28:31:18

Christoph Franceschini

Also es ist so, dass, wenn ich mich richtig erinnere, das Wirtschaftsministerium, die Republik, 170 Millionen € an die Einkaufs und Service GmbH des Österreichischen Roten Kreuzes überwiesen hat zum Ankauf von Schutzmaterial für die Republik und dieses Tochterunternehmen des Roten Kreuzes, das hat dafür 1,5 Prozent als Provision kassiert.

Ich glaube, in der ganzen Geschichte geht es auch darum, dass es einfach eine wichtige Finanzierung für diese Gesellschaft war. Das sind ja Fachleute dort, und das schockiert mich umso mehr, dass diese Fachleute einfach alles getan haben - nicht um der Republik zu helfen. 

Es gibt zig Gespräche, wo die Vertreter wirklich nicht die Interessen der Republik vertreten, sondern die Interessen einer Privatfirma und der Privatfirma auch sagen, sie sollen gegen die Republik klagen und ihnen auch Tipps geben, wie sie klagen sollen und wo sie sozusagen den juristischen Hebel ansetzen sollen. Und das, glaube ich hier, braucht man nicht mehr fragen, wem die Loyalität gewisser Beamter und gewisser Funktionäre gegolten hat - nicht der Republik, sondern der Privatfirma. Was dann dahinter ist, kann sich jeder selbst denken. Ich glaube nicht, dass die Sache lupenrein ist und sie sollte auch in Österreich untersucht werden.

 

00:28:31:20 - 00:28:41:06

Michael Nikbakhsh

Am Ende lässt sich nicht mit Gewissheit sagen, wie viele unzulängliche Masken tatsächlich verteilt wurden in mehreren Ländern aus diesen Chargen.

 

00:28:41:08 - 00:30:38:08

Christoph Franceschini

Also es waren sicher Hunderttausende, wenn nicht Millionen, von Masken, die unzulänglich waren und einfach nicht funktionstüchtig. Noch schlimmer ist es mit den Schutzanzügen, die ja viel teurer sind. Die Masken waren im Verhältnis zu den Schutzanzügen, ja, finanziell, fallen die nicht ins Gewicht. Weil wir von vorhin von Klamauk gesprochen haben: Es gibt eine Geschichte, die so unglaublich ist, dass ich sie wirklich am Anfang nicht geglaubt habe. 

Als ich recherchiert habe, bin ich irgendwann nach Monaten draufgekommen, nach Wochen als das sozusagen in der Presse war, dass es noch eine zweite Bestellung gegeben hat, für den Südtiroler Sanitätsbetrieb. Da ging es um 25 Millionen Euro. Sie haben es geschafft, diese Bestellung zwei Monate lang geheim zu halten, bis ich sie dann enthüllt habe und darüber geschrieben habe. Dann musste auch Oberalp das bestätigen. Und bei dieser Bestellung hat es einen Fehler gegeben. Anscheinend hat der zuständige Arzt, der das bestellt hat, anstatt 40.000 aseptische und sterile Schutzanzüge, 400.000 geschrieben. Und der Unterschied ist 10 Millionen Euro und da musste man irgendwie rauskommen und da hat man irgendwie gemauschelt und ist aus der Sache rausgekommen.

 

Teile dieser Schutzanzüge hat Oberalp an das Österreichische Rote Kreuz verkauft und nach Deutschland, und auch dort gibt es einen Ermittlungsstand. Wie gesagt, es ist ein Deal, wo es nur mehr darum ging, diese schadhaften Materialien an den Mann und dann die Frau zu bringen.

 

00:30:38:10 - 00:30:59:12

Michael Nikbakhsh

Mir fällt übrigens ein, dass deine Zustandsbeschreibung zum Verlauf des Untersuchungsausschusses in Südtirol ziemlich genau dem entspricht, was wir in Österreich in Untersuchungsausschüssen immer wieder erleben. Und dass Auskunftspersonen auf Vernehmungen vorbereitet werden. Ja, auch das hatten wir in Österreich schon, Stichwort: „Wer vorbereitet Gernot auf seine Vernehmung?“.

 

00:30:59:14 - 00:32:31:12

Christoph Franceschini

Also es geht sogar noch weiter, sozusagen. In diesem Untersuchungsausschuss fällt die Präsidentschaft der politischen Minderheit, der Opposition, zu und man hat dort Franz Ploner, einen ehemaligen Primar, Anästhesisten und Arzt ernannt. Von der Volkspartei beziehungsweise vom Sanitätsbetrieb und vom Sanitätslandesrat wurde eine Verleumdungskampagne gegen diesen Arzt organisiert und durchgeführt, über einen freiheitlichen Politiker, der diese Geschichte dann in der Presse lancieren sollte. Denn dieser Arzt Franz Ploner hat neben seinem politischen Mandat immer wieder auch unentgeltlich in den Krankenhäusern mitgearbeitet, weil er wollte einfach seine Profession nicht aufgeben und ist dann auch nach einer staatlichen Vorgabe in der Corona Zeit zurückgekehrt.

Damals haben sie gesagt, er kann nicht ohne Geld hier arbeiten, sondern muss angestellt werden aus versicherungstechnischen Gründen und dann hat man sozusagen dem Sanitätslandesrat gesagt, was er verdient hat und hat ihm dieses Gehalt sozusagen vorgehalten und gemeint, er hat das zweimal verdient. 

Das Pech war, dass er das Gehalt für wohltätige Zwecke gespendet hat und so konnte man ihm keinen Strick daraus ziehen. Aber man hat alles versucht, auch hinten herum, um gewisse Personen anzuschwärzen, die die Aufklärung gefordert haben.

 

00:32:31:14 - 00:32:43:18

Michael Nikbakhsh

Christoph Franceschini, spannende Recherche, spannendes Buch. „Das Geschäft mit der Angst“ ist wirklich lesenswert. Vielen Dank an Fabian für das gemeinsame Interview. Vielen Dank an Christoph, Danke euch beiden.

 

00:32:43:20 - 00:32:47:03

Christoph Franceschini

Ich danke Dir.